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Unternehmergespräch 2023: Freihandel - wie bleiben wir wettbewerbsfähig?

Donnerstag, 8. Juni 2023

«Wer in den Himmel kommen will, muss für den Freihandel sein.»

von Andreas Schürer, rivedia.com

Freihandel, das Verhältnis zur EU und Fachkräftemangel: Die sind Topthemen, die die Schweizer Unternehmen beschäftigen. Am UGW-Unternehmerforum ist klar geworden, dass Lösungen drängen. Um vorwärtszukommen, müsse dringend aufgezeigt werden, wie wichtig Freihandel für uns alle ist: Da waren sich die Referenten einig – Martin Mosler vom Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik, Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher und Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz.

Die Warnrufe sind nicht zu überhören. Die Schweiz und insbesondere der Standort Zürich stehen sehr gut da, der Wohlstand für alle ist hoch – doch keine Selbstverständlichkeit. «Hochmut kommt vor dem Fall», betonte Stefan Brupbacher, Direktor Swissmem, am 8. Juni am UGW-Unternehmerforum im Zunft­haus zur Schmiden in Zürich. Freihandel – insbesondere auch mit China –, das Verhältnis zur EU und der Fachkräftemangel würden die Unternehmen derzeit stark beschäftigen. «Es braucht rasche Lösungen.»

UGW-Geschäftsführer Christian Bretscher führt in die Diskussion ein.

Christof Domeisen, Präsident der Unter­nehmergruppe Wettbewerbsfähigkeit (UGW), nahm diesen Punkt im Laufe der Diskussion auf, pflichtete bei und warnte: «Das Zeitfenster schliesst sich.» Unternehmen planten lang­fristig und würden nur dann in den Standort investieren, wenn sie Planungssicherheit hätten – und von der langfristigen Qualität des Standorts überzeugt seien.

Modernisiertes Freihandelsabkommen würde Vorteile bringen

Wie könnten Lösungen aussehen? Martin Mosler, Bereichsleiter am Institut für Schweizer Wirtschaftspolitik an der Universität Luzern, stellte eine aktuelle Studie zu den Handels­beziehungen zwischen der Schweiz und der EU zur Diskussion, verfasst vom Kiel Institut für Weltwirtschaft, vom Österreichischen Wirt­schaftsforschungsinstitut und dem IWP Lu­zern. Die Studienautoren haben drei ver­schiedene Szenarien quantitativ bewertet. Als Basisszenario verwendet wurde ein moderni­siertes Freihandelsabkommen mit Eckwerten, die dem CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada entsprechen. Verglichen werden die Effekte mit einer kompletten Desintegra­tion (nur WTO-regelbasiert) sowie einer kom­pletten Integration (EU-Beitritt) als Referenz­szenarien.

Martin Mosler, IWP Luzern: Modernisiertes Freihandelsabkommen bringt klare Vorteile

Das Resultat lässt aufhorchen: Bei einer Modernisierung des Freihandelsabkommens von 1972 nach Vorbild des kanadisch-europäischen CETA-Abkommens unter Beibehaltung der bisherigen bilateralen Abkommen legt die Schweizer Wertschöpfung um 1,5 Prozent zu, die Realeinkommen erhöhen sich um 2,4 Prozent und es sind keine spürbaren ökonomischen Verwerfungen zwischen Schweizer Wirtschaftssektoren oder mit Handelspartnern zu erwarten. Martin Mosler kommentierte die Resultate in diesem Szenario: «Die Handelsaktivitäten würden stark zunehmen, fast alle Wirtschaftssektoren würden gewinnen – wie im Schlaf.»

Stark negativ wären die Folgen bei einer kompletten Desintegration zwischen der Schweiz und der EU: Der Schweizer Aussenhandel würde stark einbrechen, die Wertschöpfung um 1,6 Prozent und die Realeinkommen um 2,6 Prozent sinken. Eine EU-Vollmitgliedschaft der Schweiz würden den Aussenhandel dagegen ebenfalls stark ankurbeln, entsprechend steigt im Modell die Wertschöpfung um 4 Prozent und die Realeinkommen sich um 7,2 Prozent. Eine Vollmitgliedschaft würde laut den Studienautoren jedoch ökonomische und politische Harmonisierungskosten mit sich bringen, die nicht systematisch quantifizierbar und mit den Handelseffekten verrechenbar sind. Er wolle sich nicht die politische Diskussion einmischen, betonte Martin Mosler. Dem IPW sei indes ein Anliegen, dass das wichtige Thema Freihandel faktenbasiert diskutiert werde – gemäss dem Slogan und Anspruch seines Instituts: «Wir bieten Fakten statt Meinungen.»

80 Prozent weniger Armut dank Globalisierung 

«Wir brauchen Freihandel», dies betonte auch Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher. Die 1360 Mitglieder von Swissmem, die rund 327’000 Mitarbeitende beschäftigen, seien auf freie internationale Handelsbeziehungen angewiesen. In der Diskussion sei dabei grund­legend, den Menschen die Vorteile des Frei­handels aufzuzeigen. «Wir haben es bisher ver­passt, das Thema Freihandel mit einem positi­ven Narrativ zu besetzen», sagte Brupbacher. Eine gute Geschichte gebe es sehr wohl zu erzählen. So habe die zunehmende internatio­nale Vernetzung dazu geführt, dass von 1980 bis 2018 die absolute Armut global um 80 Prozent abgenommen habe. Plakativ könne daher gesagt werden: «Wer in den Himmel kommen will, muss für den Freihandel sein.» 

Es sei schlicht unmoralisch, durch Handels­beschränkungen jene Menschen zum Beispiel in Indonesien wieder in die Armut zurückzu­drängen, die von den globalen Verflechtungen profitieren würden. Dass die Abstimmungen über das Freihandelsabkommen mit Indone­sien nur knapp gewonnen werden konnte, sei ein Warnschuss und zeige: «Wir können und müssen die Linke in genau die moralische Schandecke stellen, in die sie uns immer wie­der stellen wollen.»

Stefan Brupbacher, Swissmem: Wer in den Himmel kommen will, muss für den Freihandel sein.

Innenpolitisch ist für Stefan Brupbacher zen­tral, die Blockade bei den Bilateralen rasch zu lösen. «Wir brauchen rasch Klarheit.» Statt neue Pandorabüchsen zu öffnen, wie das vom IPW eingebrachte Freihandelsabkommen nach dem Muster von CETA, stehe für ihn eine mehrheitsfähige Weiterentwicklung des Rah­menabkommens im Vordergrund. «Der Bun­desrat muss bis Mitte 2024 das Paket Bilatera­le 3 fertig verhandelt haben.» Insbesondere im Bereich der Energieversorgung schliesse sich dann das Zeitfenster und ab 2025 drohe ein Versorgungsengpass im Winter beim Ausfall eines Schweizer AKW. Nötig sei nun eine starke Führung des Bundesrats in diesem Thema. Wichtig zu betonen sei zudem: «Das Vetorecht hat nur das Volk – und sicher nicht die Gewerkschaften.»

Freihandel als Bekenntnis zu Freiheit

Matthias Müller, Präsident der Jungfreisinnigen Schweiz, betonte ebenfalls die Wichtigkeit des Freihandels und der stabilen Beziehungen zur EU, beurteilt die Chancen einer neuen Ver­handlungslösung aber kritisch. «Der Bundesrat hat die Verhandlungen unilateral abgebro­chen. Das Rahmenabkommen 2.0. wird auch kaum Chancen haben.» Der von Martin Mosler skizzierte Weg über ein modernisiertes Frei­handelsabkommen, wie es die EU mit Kanada pflegt, sei bedenkenswert. Auf diese Weise könne auch die heikle Frage der Gerichts­barkeit umschifft werden. «Wenn wir ein Frei­handelsabkommen mit den USA machen, käme auch niemand auf die Idee, den Supreme Court als Gerichtsbarkeit festzulegen.»

Matthias Müller, Jungfreisinnige Schweiz: Freihandel ist die Basis unseres Wohlstands.

Ein Freihandelshandelsabkommen gemäss dem Szenario der IPW-Studie biete die Vorteile, dass ein paritätisches Schiedsgericht zum Zug komme, dass eine dynamische Normenaner­kennung gewährleistet sei und dass die Personenfreizügigkeit nicht Teil des Vertrags sei. Diese begrüsse er zwar durchaus, sagte Matthias Müller – um dann zu ergänzen: «Aber uns muss bewusst sein, wie die Menschen im Land denken. Viele sehen die Zuwanderung als Problem, das unter anderem die hohen Woh­nungspreise verursache.»

Einigkeit herrschte beim Thema, dass der Freihandel positiv besetzt werden muss – mit einem Narrativ, das seinen Vorzügen gerecht wird. «Freihandel bedeutet auch Freiheit», sagte Matthias Müller. Dass wir unter anderem frei seien darin, mit wem wir Handel trieben, sei elementar – es sei an den Bürgerlichen und namentlich an der FDP, diese positive Konnotation von Freihandel den «Leuten in die Köpfe zu setzen», denn, so Matthias Müller: «Freihandel ist ein Bekenntnis zur Freiheit, ein Motor für Wachstum und die Basis unseres Wohlstands.»


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