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UGW-Forum 2021: (Was für ein) Fitnessprogramm für die Schweiz?

Dienstag, 23. November 2021

«Wir sind uns einig – das ist der Anfang»

von Andreas Schürer, rivedia.com

Der Staat dehnt sich aus, Abstimmungen wie zur Konzernverantwortungsinitiative haben das liberale Lager aufgeschreckt. Was tun? Und welches Fitnessprogramm braucht die Schweiz? Eine Regierungsrätin, eine Handelskammerdirektorin und Nationalrätin, ein Professor und ein Unternehmer stellten dazu am 16. Forum der Unternehmergruppe Wettbewerbsfähigkeit Thesen auf. Anregende Thesen, wie die Diskussion dann zeigte.

«Es wäre nicht schlau, nicht schlau zu sein»: So brachte Christof Domeisen zum Schluss des 16. Forums der Unternehmergruppe Wettbewerbsfähigkeit (UGW) am 23. November im Zunfthaus zur Schmiden die Stimmung auf den Punkt. Die Schweiz habe sich immer durch eine gewisse Bauernschläue ausgezeichnet – diese Tugend drohe verloren zu gehen. Der UGW-Präsident und CEO der Angst + Pfister Group schöpfte indes auch Mut aus den vorangegangenen Voten und der Diskussion: «Mir fällt heute positiv auf, dass die Lagebeurteilung von allen gleich ausfällt.» Angesprochen waren damit neben den Forums-Gästen, die sich lebhaft in die Diskussion einbrachten, vor allem drei Referentinnen und Referenten, die Thesen aufstellten zum Thema, was die Schweiz für ein Fitness-Programm brauche: Regierungsrätin Carmen Walker Späh, Volkswirtschaftsdirektorin des Kantons Zürich, Regine Sauter, Direktorin der Zürcher Handelskammer und FDP-Nationalrätin, und Christoph A. Schaltegger, Direktor des Instituts für Schweizer Wirtschaftspolitik Universität Luzern.

Wie bleibt die Schweiz konkurrenzfähig? Angeregte und anregende Diskussion mit Christof Domeisen (CEO Angst + Pfister), Nationalrätin Regine Sauter (Direktorin Zürcher Handelskammer), Christian Bretscher (Geschäftsführer UGW), Regierungsrätin Carmen Walker Späh (Volkswirtschaftsdirektorin Kanton Zürich) und Prof. Dr. Christoph Schaltegger (Universität Luzern) (v.l.n.r.)

Dass Sorgen über den Fitnesszustand der Schweiz und über die Entwicklung in der UGW-Runde weit verbreitet sind, kam in der Podiumsdiskussion deutlich zum Ausdruck. So sagte etwa der Unternehmer Markus Neuhaus: «Konzernverantwortungsinitiative, Ladenöffnungszeiten, 5 G – wir haben immer einen schweren Stand.» Entscheidend sei, kommunikative Mittel zu finden, damit die Leute wieder einem liberalen Kompass folgten. Philipp Kutter, Stadtpräsident von Wädenswil und Nationalrat Die Mitte, schlug in die gleiche Kerbe: «Zentral ist, die breite Bevölkerung mitzunehmen.» Big Government sei ein Trend, meinte Kutter, und fügte hinzu: «Da können wir uns im Säli noch so einig sein, dass dies ein Problem ist – die Leute da draussen finden das gut.»

«Nicht auf eine Krise hoffen»

Was sind die Hebel, wie kann ein liberaler Kompass vermittelt werden, wollte UGW-Geschäftsführer und Podiumsleiter Christian Bretscher wissen. Christopher A. Schaltegger sagte, es brauche Hartnäckigkeit – und um die zentrale Frage müsse gerungen werden: «Was soll der Staat, was nicht? Das ist die Kernfrage.» Seit 1870 habe sich der Staat massiv ausgedehnt. Es gelte nun Mehrheiten für ein liberales Staatsverständnis zu finden. Instrumente wie die Schuldenbremse oder Sunset Legislation, also Gesetze mit einem fixen Ablaufdatum, seien zu begrüssen, weil sie tendenziell die Staatsquote dämpften respektive Grundsatzfragen aufs Tapet brächten. Christof Domeisen betonte, der breiten Bevölkerung müssten proaktiv Zusammenhänge aufgezeigt werden. Aktuell fänden grosse Umwälzungen statt, vielen sei dies gar nicht bewusst. Als Beispiel nannte Domeisen den Kampf um Ressourcen, der enorm zugenommen habe: «Die Lieferfristen haben sich von vier Wochen auf zwölf Monate verlängert.» Regine Sauter wies darauf hin, dass gerade die im Zuge der Coronapandemie geschaffenen Hilfen Begehrlichkeiten geweckt hätten – umso schwerer sei nun der Ausstieg aus der staatlichen Aktivität. Ein Votant meinte, dann gelte es halt fatalistisch auf eine schwere Krise zu hoffen, um den Leuten aufzuzeigen, dass unser Wohlstand nicht gottgegeben sei und um den Staat in die Schranken zu weisen. Schaltegger entgegnete: «Auf eine Krise hoffen würde ich nicht. Ein Blick in die Geschichte zeigt, dass die Staatsquote in Krisen immer steigt.» Und was sind nun die Hebel, um Mehrheiten zu erreichen? Christof Domeisen meinte: «Wir sind uns hier einig – that’s the beginning.»

«Heilige Kühe schlachten»

In ihren der Diskussion vorangegangenen Referaten setzten Regierungsrätin Carmen Walker Späh, Regine Sauter, Christoph A. Schaltegger und Christof Domeisen unterschiedliche, in der Stossrichtung aber ähnliche Schwerpunkte. Carmen Walker Späh sieht epochale Veränderungen auf Wirtschaft und Gesellschaft zukommen, und sie sagte: «Ich wünsche mir, dass wir diese Entwicklung gut gestalten können.» Der Kanton Zürich sei fit und habe viele Muskeln – «es reicht aber nicht, top zu sein, wir müssen top bleiben.» Einen grossen Effort brauche es etwa im Bereich der Digitalisierung, namentlich in der Verwaltung. Zudem gelte es «heilige Kühe zu schlachten». Das Arbeitsgesetz stamme aus dem letzten Jahrhundert: «Es ist näher bei der Spanischen Grippe als bei der Coronapandemie.» Heute sei es löchrig, enthalte unzählige Ausnahmen und ziele an den Lebensrealitäten der Menschen vorbei. «Ich will nicht, dass mich am Sonntag nur Roboter bedienen – und die Jobs verloren gehen.»

Als weitere wichtige Punkte nannte die Volkswirtschaftsdirektorin die Entwicklung der Infrastruktur, des Landesflughafen und des Forschungsstandorts. Der Flughafen Zürich sei das Tor zur Welt und stelle sicher, dass der Standort innovativ und digital vorankomme und nicht zur Provinz verkäme. Das Drehkreuz in Zürich müsse massvoll entwickelt werden – dazu zähle auch die Zustimmung zu den geplanten Verlängerungen der Pisten 28 und 32. «Sie bringen mehr Stabilität, eine Erhöhung der Sicherheitsmarge, weniger Verspätungen und somit eine bessere Einhaltung der Nachtruhe», sagte Carmen Walker Späh. Um den Forschungsstandort zu stärken, müsse zudem das Verhältnis zur EU geklärt werden. Es tue ihr weh, wenn Forschende abwandern würden, weil sie in der Schweiz nicht in die relevanten Programme eingebunden seien.

Prof. Dr. Christoph Schaltegger, Nationalrätin Regine Sauter, UGW-Geschäftsführer Christian Bretscher und UGW-Präsident Christof Domeisen im Gespräch

«Verantwortung übernehmen»

Christoph A. Schaltegger warnte in seinem Referat vor dem Megatrend Big Government. Die EU habe im Durchschnitt eine Staatsquote von 53 Prozent. In der Schweiz betrage sie zwar «nur» 37 Prozent – sie sei in den letzten fünf Jahren aber um fünf Prozentpunkte gestiegen. «Das sollte uns zu denken geben», sagte Schaltegger. Stark steigend seien auch die Regulierungen und die Zahl der Angestellten, die direkt für den Staat oder für staatsnahe Betrieben arbeiten würden. Schaltegger forderte darum einen Kompass der liberalen Wirtschaftspolitik: «Wer im Konkreten richtig liegen will, braucht einen Kompass für das Grundsätzliche.» Was die Funktion des Staats sei, wo die Freiheit beginne – das müsse neu austariert werden. Für den Ökonomen ist die Stossrichtung klar. Zum einen gelte es das Subsidiaritätsprinzip konsequent anzuwenden. Der Staat solle nur ergänzend zu Privaten wirtschaftlich aktiv werden, der Bund Aufgaben nur ergänzend zu den Kantonen übernehmen. Zum anderen sei der freie Wettbewerb (wieder-)herzustellen. Damit der Markt möglichst frei spielen könne, müsse es Wettbewerb geben – ohne unnötig verzerrende Staatsinterventionen. Staatliche Aktivitäten müssten transparent, gerechtfertigt und nachhaltig finanziert sein. Zentral seien Instrumente wie die Schuldenbremse – und ganz generell, dass die Politik stärker auf Bilanz und Vermögenswerte fokussiere und sich Rechenschaft ablege über eine langfristig ausgelegte Haushaltssteuerung. Die Wirtschaft brauche keinen Dirigismus, sondern Handlungsfreiheit, sagte Schaltegger, und schloss mit der Aufforderung: «Wer die Wettbewerbsfähigkeit verbessern will, muss Verantwortung übernehmen!»

«Angewiesen auf gute Zusammenarbeit mit der EU»

Regine Suter stellte ihr Referat unter den Titel «Baustellen und Forderungen für die Schweiz und für Zürich». Sicher fehl am Platz seien kurzfristige Aktionen, Konjunkturprogramme, eine Aufweichung der Schuldenbremse, rigide Sparprogramme, neue Abgaben zur Finanzierung von Corona-Schulden und zusätzliche Regulierungen. Stattdessen bestehe Handlungsbedarf in den Bereichen Wettbewerbsfähigkeit, Steuerbelastung, Arbeitsmarkt, Digitalisierung und Europapolitik. Zu denken geben müsse, dass der Kanton Zürich im Freiheitsindex von Avenir Suisse nur auf dem 17. Platz zu finden sei und unter anderem bei Themen wie der Steuerbelastung, der Kirchensteuer und der Dauer von Baubewilligungsverfahren schlecht abschneide. Auch der kantonale Wettbewerbsindikator der UBS falle für Zürich unvorteilhaft aus – der Kanton belege bei veränderbaren Faktoren nur den 16. Platz.

Im Bereich der Steuern sieht Regine Sauter dringenden Bedarf für ein Fitnessprogramm, zumal die OECD-Steuerreform die Schweiz und Zürich zu Anpassungen zwinge. Nötig seien der zweite Schritt der Unternehmenssteuerreform, eine Reform der Kirchensteuern für juristische Personen, aber auch eine Anpassung der kantonalen Steuerprogression, vor allem bei hohen und sehr hohen Einkommen sowie Vermögen. Bezüglich des Arbeitsmarkts brauche es eine Reform des Arbeitsgesetzes unter Berücksichtigung der gesellschaftlichen und technologischen Fortschritte. Wie Carmen Walker Späh verwies Regine Sauter darauf, dass das bestehende Arbeitsgesetz aus dem Industriezeitalter stamme und nicht mehr zeitgemässe Konzepte und Begriffe enthalte. Zeitgemäss müsse sich auch die Verwaltung entwickeln – gerade beim Thema Digitalisierung. Die Corona-Pandemie habe ans Licht gebracht, dass Strukturen fehlten, insbesondere im Gesundheitswesen, der Bildung, im Rechtssystem und dem Behördenaustausch mit der Wirtschaft. Die zu Tage getretenen Missstände müssten als Chance betrachtet werden – und Anlass geben zu Bürokratie-Abbau, Senkung von regulatorischen Hürden und Orientierung an der «Best Practice». Der Kanton Zürich benötige eine rasche Digitalisierung der Verwaltung, die departementsübergreifend sei.

Einen Fokus legte Regine Sauter zudem auf die Europapolitik. Allein der ökonomische Nutzen der Bilateralen betrage 24 Milliarden Franken pro Jahr. «Gerade der Standort Zürich ist stark auf eine gute Zusammenarbeit mit der EU angewiesen», sagte die Direktorin der Zürcher Handelskammer und FDP-Nationalrätin. Ein EU-Beitritt sei keine Option, das Verständnis für die Zusammenhänge müsse aber dringend gefördert werden. Sauters Fahrplan sieht wie folgt aus: «Verständnis im Inland fördern, Optionen schnellstmöglich prüfen, gute Beziehungen zur EU intensivieren, Vertrauen durch unilaterale Massnahmen stärken, politisch breit abgestützten Kompromiss erarbeiten.»

Gesetze durchforsten – und Unnötiges abschaffen

Christof Domeisen stieg mit einem Weckruf in sein Referat ein: «Corona ist der grösste Brandbeschleuniger, den wir je erlebt haben.» Die Pandemie habe die Phase der Deglobalisierung forciert, eine Phase der Regionalisierung mit den Blöcken Asien, Europa und USA. Umso dringlicher seien Freihandelsabkommen – der aktuell herrschende Vertragsstau müsse rasch gelöst werden. Und es brauche Verhandlungsgeschick und die zitierte Bauernschläue. Warum, so fragte Domeisen, nehmen wir nicht etwa mit Deutschland Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen auf? Als grösster Kunde hätten wir nicht so schlechte Chancen, Handfestes zu erreichen, meinte er.

Zentral sind auch für den Präsidenten der UGW die Bereiche Innovation, Forschung und Regulierung. In den Unternehmen habe sich der Entwicklungszyklus von zwei bis drei Jahren auf vier bis acht Wochen reduziert. «Und wir sind im siebten Jahr der Gründung des Innovationsparks und werden wohl auch noch das Zehnte erleben», sagte Domeisen. Zwar würden «viele gute Köpfe» für dieses Projekt arbeiten, der Prozess sei aber sei langwierig. Im Ausland dauere es an vielen Orten vom Investitionsentscheid bis zum Bau 12 bis 18 Monate. «Bei uns muss man nur schon für eine Renovation drei Jahre einplanen.»

Ganz generell sei die Regulierung einzudämmern. «Wir schaffen jeden Tag neue Paragraphen», sagte Domeisen, und forderte, Gesetze und Verordnungen zu durchforsten und darauf prüfen, was abgeschafft werden könne. «Sonst wächst einfach alles.»